Der Rote Hans

An den Ufern der Uckerseen lebten die Bauern gern aber sehr arm. Ihre Erntewagen waren alt und die buckligen Wege zum Prenzlauer Markt krumm. So früh ein Bäuerlein auch aufbrechen mochte, es erreichte den Markt erst in den Mittagsstunden und konnte das trocken gewordene Heu oft nicht mehr verkaufen.

Keramikfliese von Johanna Martin

Eines schönen Sommertages sagte eine arme Bäuerin ihrem Mann, dass sie ein Kind bekommen werde. Dem Bäuerlein ward sein Herz schwer und auf seinem beschleunigten Weg zum Prenzlauer Heumarkt in glühender Sonne fürchtete er verzweifelt erneuten Verlust. Da sah er über der traumschönen Landschaft die Haare des „Roten Hans“ in der Sonne leuchten. Der raste mit seinem Heuwagen über den Uckersee. Der Ungläubige kam von der slawischen Fluchtburg und würde wieder, wie schon so oft, als erster sein Heu verkaufen. So geschah es auch dieses Mal. Mit seinem unverkauften Heu fuhr das Bäuerlein heimwärts und schwor sich, das nächste Mal seinen Wagen neben dem Ungläubigen über die Ucker zu fahren. Er wollte dabei zu Gott beten, dass ihm seine Familie erhalten bleibe. So würde noch alles gut werden. Das glaubte er frohgemut und besprach alles mit seiner tapferen Frau.
Am nächsten Markttag gelang es dem Bäuerlein hinter dem Roten Hans über das Wasser zu fahren. Seine Pferde und der alte Wagen schienen zu fliegen. Er überholte den „Roten Hans“ und war als erster auf dem Heumarkt in Prenzlau. Er verkaufte sein noch frisches Heu vor dem wütenden Ungläubigen zu einem guten Preis und betrat kurz darauf ein Wirtshaus, um sich nach der langen Zeit des Darbens, einen guten Bissen zu leisten.
Der Wirt sah das Bäuerlein und hinter ihm den roten Schopf des wilden Hans. Er ahnte nichts Gutes und log: „Meine Küche ist leer.“ Schnell aber fügte er mit Blick auf den rasenden Hans kleinlaut hinzu: „Ich habe noch einen großen und einen kleinen Fisch.“ Bäuerlein sagte zufrieden: „Mir reicht der kleine Fisch“ während der „Rote Hans“ nach dem großen Fisch schrie. Als der Wirt mit der Pfanne kam, griff das Bäuerlein nach dem kleinen Fisch, während der Rote Hans mit seiner groben Faust den großen Fisch packte. Aber siehe da, als das Bäuerlein seinen kleinen Fisch verspeist hatte und sich zufrieden den Mund wischte, hielt er einen neuen frisch gebratenen Fisch in den Fingern. So ging es fort bis er so satt war, wie noch nie in seinem Leben. Dem „Roten Hans“ aber war der große Fisch zwischen seinen Zähnen klein geworden. Den Wirt grauste es bei diesem Anblick. Er schob beide Gäste vor die Tür und verschloss seine Wirtschaft. Der Rote Hans aber bestieg wütend seinen Wagen und jagte über die Ucker davon. Sein rotes Haar leuchtete in der untergehenden Sonne sieben Tage und sieben Nächte. Seither ward der Ungläubige nie wieder gesehen. Das Bäuerlein aber fuhr zufrieden und dankbar auf den buckligen Uferwegen heim zu seiner Frau und dem werdenden Kind. Er hatte das Gefühl, dem Teufel entronnen zu sein.
Auf dem Burgwall aber, der von der slawischen Fluchtburg nach einem tagelangen Brand geblieben ist, ästen fortan die Schafe. Sie gediehen prächtig und linderten die Not der christlichen Bauern.

Aufgeschrieben von Brigitte Martin 2003 ; Quelle: mündliche Überlieferung Otto Spann Suckow, 1981

Bild: Keramikfliese von Johanna Martin